Terminologie
"Ganz am Anfang meiner Reise in die Welt des Autismus traf ich auf keine der üblichen Wegweiser, keine vertrauten Namen oder Gesichter, einzig die Sterne und die leeren Gesichter der angsterfüllten Kinder, die weder sprechen noch hören konnten und die, wenn ich auf sie zuging, vor Schreck aufschrien. Da nannte ich sie 'unheimliche Fremdlinge'." (Carl H. Delacato)
Der Begriff "Autismus" stammt von Eugen Bleuler und wird im allgemeinen als Selbstbezogenheit, als Rückzug auf die eigene Person und als Ausdruck einer Kontaktstörung verwandt. Bleuler meint mit diesem Begriff den Verlust der Beziehung des Patienten zu seiner Umwelt als Ausdruck eines Egozentrismus, also als Ausdruck einer Unfähigkeit, sich selbst nicht ausschließlich als Mittelpunkt der erlebbaren Umwelt zu betrachten, sondern sich gewissermaßen auch distanziert neben seinen Mitmenschen erleben zu können. (LEMPP 1992, 96)
Die Terminologie, die im Zusammenhang mit dem Syndrom des frühkindlichen Autismus gebraucht wird, ist etwas verwirrend, obwohl Kanner bereits 1944 den Terminus "Early infantil autism" einführte und damit besonders auf die Tatsache hinwies, dass die Symptome bereits in der frühen Kindheit auftreten. Im Englischen gibt es außerdem noch die Bezeichnung "Early childhood autism", die von J.K. Wing eingeführt wurde. Wing bevorzugt diesen Terminus, weil in manchen Fällen die typischen Syndrome erst im zweiten oder dritten Lebensjahr auftreten.
Die Differenzierung vom Kannerschen und Aspergerschen Autismus wird eigentlich nur in der deutschsprachigen Literatur vorgenommen, wohingegen in der anglo-amerikanischen Psychiatrie die Unterscheidung lediglich nach dem nachweisbaren Intelligenzgrad getroffen wird. (LEMPP 1992, 96)
Der Begriff 'Autismus' und seine Synonyme "kindlicher" oder "infantiler" Autismus, "primärer Autismus", "autistische Störungen" sowie "autistisches Kind" sind die gebräuchlichen Termini zur Benennung des dazugehörigen Zustandbildes.
Von psychoanalytisch orientierten Fachleuten werden die Begriffe "atypische Entwicklung" und "atypische Ich-Entwicklung" benutzt, um möglicherweise vergleichbare Patienten zu beschreiben. Die allgemeineren und weniger gut definierten Begriffe wie "infantile Psychose", "Kindheitspsychose" und "Frühbeginnpsychose" wurden auch häufig verwendet. Diese Begriffe heben den psychologischen Defekt in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder hervor, und in Abhängigkeit vom jeweiligen Untersucher decken sie sich mehr oder weniger mit dem Begriff 'Autismus'. Zur spezifischen Kennzeichnung des Syndroms 'frühkindlicher Autismus' ist der Begriff "Kindheitspsychose" aber ungeeignet, weil er auch bei vielen anderen nicht-autistischen Zustandsbildern verwendet wird und ungünstige soziale Implikationen hat. (J.K. WING 1993, 19)
Außerdem wird noch der Terminus "Kindheitsschizophrenie" für Kinder benutzt, die in manchen Fällen mit autistischen Kindern vergleichbar sind. Jedoch existieren gerade in bezug auf diesen Terminus so viele Kontroversen, dass man ihn im Zusammenhang mit Autismus vermeiden sollte, zumal eine Reihe von Autismusforschern dem Syndrom des frühkindlichen Autismus mit Recht einen anderen nosologischen Ort als den schizophrenen Psychosen zuweisen (WILKER 1989, 6). J.K. WING (1993, 40) weist z.B. in diesem Zusammenhang darauf hin, dass "keine der speziellen Eigentümlichkeiten der Schizophrenie wie Wahnideen, Halluzinationen oder die katanonen Phänomene" bei autistischen Kindern auftreten.
Differentialdiagnose von Kanner-Syndrom und Asperger-Syndrom
Eine interessante Fragestellung, die nicht nur wissenschaftlich von Bedeutung ist, betrifft die Abgrenzung des frühkindlichen Autismus bei Kindern, die eine fast normale Intelligenz haben, vom Asperger-Syndrom. Kinder mit einer autistischen Persönlichkeitsstörung haben im Durchschnitt eine wesentlich höhere Intelligenz als die Kinder mit frühkindlichem Autismus, von denen die meisten geistig behindert sind. Die Frage nach einer möglichen Unterscheidung beider Störungsformen wird sehr kontrovers diskutiert. Allerdings gibt es einige charakteristische Merkmale, anhand derer eine Unterscheidung möglich ist.
Es gibt fünf Bereich, in denen man Unterschiede zwischen frühkindlichem Autismus und dem Asperger-Syndrom finden kann. Zunächst einmal die ersten Auffälligkeiten: Der frühkindliche Autismus fällt meist sehr früh auf. Die Eltern stellen oft sehr früh fest, dass etwas nicht stimmt, insbesondere dann, wen sie schon ein gesundes Kind haben, dessen Entwicklung sie verfolgen konnten. Im Gegensatz dazu werden die markanten Besonderheiten beim Asperger-Syndrom erst später auffällig, nämlich erst ab dem vierten Lebensjahr. Der Blickkontakt ist beim frühkindlichen Autismus oft ganz fehlend, später flüchtig. Beim Asperger-Syndrom ist er eher vorhanden und nicht so ausgeprägt abwesend wie beim frühkindlichen Autismus. (DEUTSCH/WENGLORZ 2001, 55)
Der zweite Unterschied betrifft die Sprache. Die meisten Kinder mit frühkindlichem Autismus haben einen sehr späten Sprachbeginn: in etwas 60% der Fälle bleibt die Sprachentwicklung sogar ganz aus. Außerdem hat die Sprache oft zunächst keine kommunikative Funktion. Ganz anders verhält es sich beim Asperger-Syndrom, bei dem der Sprachbeginn früh einsetzt. Es ist nach den diagnostischen Kriterien erforderlich, dass Kinder, wenn sie den Kriterien des Asperger-Syndroms entsprechen, schon vor dem zweiten Lebensjahr mindestens einige Wörter sprechen können. Die Sprache ist dann normal oder sogar schon sehr früh entwickelt. Außerdem hat Sprache bei ihnen immer eine kommunikative Funktion, d.h. die Kinder lernen früh durch die Sprache etwas mitzuteilen. Manchmal entwickeln Kinder mit Asperger-Syndrom auch eine Art der sprachlichen Kommunikation, die besonders gestelzt ist, was auf frühkindlich autistische Kinder nicht zutrifft.
Der dritte Unterschied betrifft die Intelligenz. Kinder mit Asperger-Syndrom haben in aller Regel eine deutlich höhere Intelligenz, während Kinder mit frühkindlichem Autismus meist erheblich eingeschränkte intellektuelle Leistungen aufweisen.
Untersuchungen an der Yale Universität (Schultz et al., 2000) befassten sich mit den unterschiedlichen Intelligenzprofilen von intelligenten Kindern mit Kanner-Syndrom (sogenannter "high functioning autism") und solchen mit Asperger-Syndrom. Beide Gruppen wurden mit den Hamburg-Wechsler-Skalen, deren Gesamt-IQ sich aus einem Handlungs- und einem Verbalteil zusammensetzt, getestet. Bei einem Vergleich des Gesamtintelligenzquotienten beider Patientengruppen ergibt sich kein signifikanter Unterschied. Betrachtet man jedoch den Handlungs- und Verbal-IQ getrennt, so zeigen die Asperger Autisten mit 108 Punkten signifikant bessere verbale Leistungen als die Kanner Autisten mit 94 Punkten. Betrachtet man dagegen den Handlungsbereich, so haben die letzteren einen höheren Handlungsquotienten als die Patienten mit Asperger-Syndrom. Auch hier ist der Unterschied hochsignifikant.
Schließlich gibt es noch einen letzten Unterschied, der die Motorik anbelangt. Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen in der Regel keine Einschränkungen in der Motorik, sofern keine zusätzliche Erkrankung vorliegt. Beim Asperger Syndrom hingegen liegt häufig von Anfang an eine auffällige Motorik vor. Viele Eltern merken schon früh, dass die Kinder sehr ungeschickt sind. Sie lernen nicht, einen Ball zu fangen, wirken ungelenk, scherfällig, linkisch und in ihrer motorischen Koordination gestört. (DEUTSCH/WENGLORZ 2001, 56f)
Neben den beschriebenen Besonderheiten des Asperger-Syndroms wie frühe Sprachentwicklung, motorische Auffälligkeiten in Form von Ungeschicklichkeiten und Koordinationsstörungen sowie höherer Intelligenz im Vergleich zum Kanner-Syndrom, sind die Sonder- oder Spezialinteressen zu nennen. Die Asperger-Autisten können ein umfassendes Wissen über ein Thema ihres Spezialinteresses erwerben. Dank ihrer Begabung können sie auch eine fundierte, wenn auch formale Einsicht in die Literatur auf diesem Gebiet bekommen. Für sie ist es aber schwierig, das Wissen und die Einsicht in einen praktischen sozialen Zusammenhang einzubringen. Wenige der Asperger Autisten mit umfassendem Wissen oder Fähigkeiten auf äußerst begrenzten Gebieten können ein außergewöhnliches Niveau erreichen. Dies kann beispielsweise die Fähigkeit sein, die Wettervorhersage für jeden Tag der letzten fünfzig Jahre in allen europäischen Hauptstädten zu kennen oder Melodien auf dem Klavier mit fast virtuoser Genauigkeiten wiederzugeben (JÖRGENSEN 1998, 56)
Linkhinweise zum Thema Asperger Autismus:
http://www.asperger-autismus.de/
http://www.asperger-kinder.de/
http://www.einzigartig-eigenartig.de/